Über Pässe anreisen, auf Almen verweilen, an Seen staunen – drei Regionen, ein Erlebnis zwischen Bewegung und Momenten der Ruhe.
Die Fahrt über Albulapass, Ofenpass und Umbrail hinauf zum Stilfserjoch ist mehr als nur Anreise – sie ist Auftakt: voller Kurven, Höhenmeter und alpiner Kulisse.
Doch das eigentliche Abenteuer entfaltet sich in den Dolomiten selbst. In Sexten, Misurina und Gröden führen mich die E‑Bike-Touren zu Orten wie Pragser Wildsee, Lago di Misurina, Seiser Alm und Klambachalm – zwischen Weite, Gastfreundschaft und stillen Augenblicken.
Anreise — ein Auftakt in Kurven
Es ist Anfang September. Die Wetterprognose ist günstig, der Terminkalender lässt Luft – ein idealer Moment, um aufzubrechen. Ziel: die Dolomiten. Noch ohne fixe Hotelbuchungen, aber mit viel Vorfreude auf das, was kommt.
Die Route führt mich über den Albulapass, den Ofenpass und den Umbrailpass hinauf zum Stilfserjoch – oder, wie es auf Italienisch heisst: Passo dello Stelvio. Der Albulapass zeigt sich mit karger Hochgebirgslandschaft, rau, aber eindrücklich. Auf dem Ofenpass fahre ich durch schöne Lärchenwälder. Jetzt im September ist noch alles grün. Auf der Passhöhe des Umbrail wird die Landschaft offener, steiniger, beinahe unwirtlich – eine Stimmung, die zur kargen Höhe passt. Die Fahrt selbst wird zur eigentlichen Freude dieser Anreise. Dann das Stilfserjoch: eine alpine Ikone, bekannt für seine dramatischen Kehren und seine Anziehungskraft auf Velofahrende und Motorradfahrer. Zahlreiche Motorräder stehen aufgereiht, Würste brutzeln an Ständen, Stimmengewirr liegt in der Luft – eine Szenerie zwischen Sportevent und Jahrmarkt.
Ich bin seit Stunden unterwegs, die Konzentration hat nachgelassen. Es ist Zeit, anzukommen. Das Hotel Madatsch hat noch ein Zimmer frei. Ich bin erleichtert. Die enge Passtrasse fordert auch am Steuer Geduld – und etwas Nervenstärke. Der Patron hilft beim Einweisen auf dem kleinen Parkplatz, der Biketräger macht es nicht einfacher. Das Haus wirkt frisch renoviert, geschmackvoll gestaltet – besonders die Lobby lädt zum Verweilen ein. Der Hauswein passt zum Abend: unkompliziert, stimmig, genau richtig nach der langen Fahrt. Am Abend geniesse ich ein dreigängiges Menü, schlicht serviert und mit feiner Aufmerksamkeit begleitet. Der Auftakt ist gemacht.
Ankunft in Sexten – erste Tage in den Dolomiten
Für den Beginn meines Aufenthalts in den Dolomiten habe ich Sexten gewählt. Vier Nächte im Gasthof Panoramablick sollen Zeit geben, die Umgebung in Ruhe zu entdecken. Die Fahrt dorthin zeigt sich weniger interessant als die Pässe zuvor. Im Vinschgau drängt sich der Verkehr, endlose Apfelplantagen säumen die Strasse und machen die Fahrt eher eintönig. Ab Meran geht es flotter voran, die Autobahn gibt das Tempo vor. Über Bozen führt die Brennerroute schliesslich bis nach Brixen – ein Kontrast zur kurvenreichen Anreise des Vortages.
Ein Ausflug zum Pragser Wildsee
Wenige Kilometer nach Bruneck zweigt die Strasse in Richtung Pragser Wildsee ab. Ich parke unten im Tal, lade das Bike ab und fahre die rund sechs Kilometer mit 300 Höhenmetern hinauf. Teile der Strecke verlaufen entlang der Hauptstrasse – kein Vergnügen, aber machbar. Oben angekommen, zeigt sich das bekannte Bild: volle Parkplätze und viele Besucher. Der See gilt längst als Instagram-Ikone – und steht sinnbildlich dafür, wie rücksichtslos digitale Begehrlichkeiten einen Ort vereinnahmen können. Auch unzählige Bikes sind abgestellt, weit über hundert dürften es sein. Offenbar teilen viele die Idee, den See mit dem Bike zu erreichen.
Der Pragser Wildsee selbst erinnert mich an den Lake Louise in Kanada, auch wenn die Bergkulisse weniger monumental wirkt. Gemeinsam ist beiden die touristische Betriebsamkeit – und auch ich reihe mich in dieses Bild ein. Eigentlich wollte ich weiter in Richtung Grünwaldalm fahren, doch die Forststrasse ist mit einem Fahrverbot belegt. Stattdessen kehre ich in einem Restaurant im hinteren Bereich des Sees ein. Hier wirkt alles ruhiger, gelassener, ein angenehmer Kontrast zur vorderen Seeseite. Der Apfelstrudel überrascht positiv – ein gutes Stück, passend zu diesem Moment. Zurück im Tal lade ich das Bike wieder auf und fahre weiter nach Sexten, ins Gasthaus Panorama.
Gasthof Panorama oberhalb von Sexten
Vier Nächte verbringe ich in Sexten, drei volle Tage bleiben, um die Gegend mit dem Bike zu erkunden. Der Gasthof Panorama liegt oberhalb des Dorfes. Die Zufahrt führt über eine schmale Strasse mit einigen Kehren – je höher man steigt, desto weiter öffnet sich der Blick. Der Check-in ist rasch erledigt, bald stehe ich auf dem Balkon und lasse die Aussicht auf mich wirken.
Der Gasthof wird familiär geführt, eine wohltuende Normalität prägt den Empfang. Das Zimmer in warmen Holztönen und mit modernem Bad gefällt mir sofort. Gebucht habe ich mit Halbpension – hier oben die beste Wahl. Am Abend gibt es bodenständige, regionale Küche; am Morgen den Ruf des Hahns und ein Frühstück vor eindrucksvoller Kulisse. Einfach, stimmig, genau richtig.
E‑Biketour zum Berggasthaus Helm
Am ersten Tag schlägt das Wetter um. Am Morgen Regen und Wolken, erst gegen Mittag klart es auf. Die Tour führt mich hinauf zum Berggasthaus Helm, an der Bergstation der gleichnamigen Gondelbahn. Rund 500 Höhenmeter gilt es zu bewältigen, die Wege sind problemlos befahrbar. Oben wartet eine grosse Terrasse und nebenan das Reinhold-Messner-Haus. Kulinarisch ist das Restaurant eher austauschbar, wie so oft in Skigebieten. Was bleibt, ist die eindrückliche Kulisse der Dolomiten. Die Abfahrt erfordert Konzentration: steile Passagen, ausgewaschene Stellen, loses Gestein. Es rüttelt ordentlich – aber gerade das macht den Reiz aus.
Ein Abstecher auf die Plätzwiese
Da es noch früher Nachmittag ist, entscheide ich mich spontan für die Plätzwiese. Die Auffahrt ist reglementiert: ab 15 Uhr darf man hochfahren, Maut inklusive. Die Strasse ist schmal, mit einigen Engstellen, doch gut zu bewältigen. Oben angekommen, sind es nur wenige Schritte bis zur Alm. Der Ausblick ist eindrücklich – die Wiesen goldgelb, die Gipfel dramatisch. Eine 40-minütige Wanderung führt fast eben zur Dürrensteinhütte. Ich komme knapp zu spät – die Küche hat geschlossen. Schade, aber so ist es eben. Zurück auf der Plätzwiese gönne ich mir ein Stück Apfelstrudel im Berggasthof.
E‑Biketour zur Klambachalm
Auch am zweiten Tag bleibt das Wetter wechselhaft. Gegen Mittag starte ich zur Klambachalm. Der Weg führt durch Wälder und über Wiesen, abwechslungsreich und nie langweilig. Oben angekommen, eröffnet sich ein Panorama, das kaum weiter sein könnte. Die Hütte selbst ist schlicht und rustikal, das Personal begrüsst mit einem freundlichen „Servus“. Ein Krautsalat und eine Suppe mit Speckknödel – einfache Gerichte, die hier oben genau passen. Der Unterschied zum Bergrestaurant Helm könnte grösser kaum sein.
E‑Biketour zur Rotwand — Rudi-Haus
Geplant hatte ich eine Rundtour über die Rotwand und weiter nach Moos zurück nach Sexten. Doch ab der Bergstation sind die Wege für Bikes gesperrt. So bleibt es bei einer Fahrt hinauf, einem gemütlichen Besuch im Rudi-Haus – und derselben Strecke zurück ins Tal. Die Forststrasse ist wenig reizvoll, im Winter dient sie als Rodelbahn. Immerhin: Die Rast im Bergrestaurant Rudi-Haus war ein netter Moment.
Weiterfahrt zum Lago di Misurina
Ich umrunde die Sextner Dolomiten im Uhrzeigersinn. Bei Padola biege ich auf die SP532 ab, die über einen kleinen Pass nach Auronzo di Cadore führt. Hier fällt mir zum ersten Mal auf, dass ich nicht mehr in Südtirol, sondern in Venetien unterwegs bin. Die Häuser wirken schlichter, die Dörfer weniger gepflegt. Das Tal ist dicht verbaut, offenbar ein Feriengebiet für Sommer- wie Wintergäste.
Gegen Mittag erreiche ich Misurina, „die Perle der Dolomiten“. Trotz vieler Besucher entfaltet der Ort am See seine Wirkung: offen, weit, eingerahmt von markanten Gipfeln. Für eine Nacht habe ich im Grand Hotel Misurina gebucht – ein Name, der Erwartungen weckt, die das Haus nicht erfüllt. Netterweise darf ich den Hotelparkplatz bereits nutzen, was ein Glück ist, denn entlang des Sees gibt es keine freien Plätze mehr.
Mit dem Bike zum Rifugio Auronzo
Am Nachmittag steige ich aufs Bike und fahre die steile Mautstrasse zum Rifugio Auronzo hinauf. Für Autos ist die Zufahrt streng geregelt – Reservation, 40 Euro Maut (Stand 2025) –, für Biker dagegen frei. Im Turbomodus sind die gut 600 Höhenmeter bald geschafft, das Bike bleibt bei der Hütte stehen.
Wanderung zum Aussichtspunkt Cadini
Von hier führen Wanderwege weiter in die Höhe. Wer die Drei Zinnen im klassischen Blick sehen will, braucht drei bis vier Stunden Zeit. Ich entscheide mich für den kürzeren Weg zum Aussichtspunkt Cadini: rund 90 Minuten hin und zurück, mit etwa 80 Höhenmetern. Auch hier sind viele unterwegs, doch die Mühe lohnt sich. Der Blick auf die gezackten Felsgrate der Cadini di Misurina ist eindrücklich.
Am Ende des Weges staut es sich: Touristen posieren für Selfies am schmalen Grat. Ich verzichte – schon vom Pfad aus zeigt sich die Landschaft von ihrer besten Seite. Auf dem Rückweg öffnet sich der Blick auf die Südflanke der Drei Zinnen, mächtig und nah. Espresso und Kuchen im Rifugio runden den Ausflug ab, bevor die Abfahrt zurück ins Tal beginnt – eine reine Freude, mit immer neuen Ausblicken.
Eine Nacht im Grand Hotel Misurina
Die Hotels rund um den See liegen fast alle direkt an der Strasse – so auch das Grand Hotel. Der Verkehr, besonders die Motorräder, ist entsprechend präsent. Sie gehören zur Dolomitenkulisse ebenso wie die Gipfel – nur weniger leise. Um halb acht sammeln sich die Gäste vor dem Speisesaal, die Tische werden zugewiesen, was Ordnung schafft. Das Essen selbst bleibt belanglos – immerhin war das Bier kalt und gut.
Seiser Alm und Grödnertal
Über das Grödnerjoch zur Seiser Alm
Die Seiser Alm stand noch auf meiner Bucketliste. Rund 120 Kilometer liegen vor mir – über Schluderbach, Cortina d’Ampezzo und dann entlang der SS48, der Dolomiten-Panoramastrasse, hinauf zum Grödnerjoch und weiter nach St. Ulrich. Über zwei Stunden fahre ich durch eine Landschaft, die immer wieder Staunen auslöst. Für mich eine der schönsten Strassen, die ich bisher gefahren bin. Ich bin nicht allein: Viele Motorradfahrer sind unterwegs, schrauben sich in rasantem Tempo über die Pässe. Vorausschauend und vorsichtig fahren ist angesagt – immer wieder trägt es eine Maschine zu weit in die Kurve. Auch Oldtimer, Porsche- und Sportwagengruppen nutzen die Strecke. Eine Bühne für Motoren – und zugleich auch eine eindrucksvolle Strecke für jene, die lieber gelassener unterwegs sind.
Drei Nächte im Hotel Ansitz Jakoberhof
Für die kommenden Tage habe ich im Ansitz Jakoberhof oberhalb von St. Ulrich gebucht. Eine gute Wahl: Im Dorf selbst kumuliert sich der Tourismus, viele Hotels liegen direkt an Strassen oder engen Gassen – mit entsprechendem Lärm. Hier oben dagegen öffne ich abends die Fenster und geniesse die Stille. Das Haus ist familiengeführt, im tiroler Stil gehalten, gemütlich und bodenständig. Die meisten Gäste, auch ich, haben Halbpension gewählt. Menüs und Atmosphäre spiegeln die Unkompliziertheit wider, die ich an Drei- und Viersterne-Hotels zunehmend schätze.
E‑Biketour zur Seiser Alm – Bergrestaurant Rauchhütte
Ein sonniger Tag, blauer Himmel, klare Sicht. Von St. Ulrich geht es erst steil ins Tal hinunter, dann über längere, gut fahrbare Forstwege hinauf zur Seiser Alm. Oben zeigt sich erst ihre Grösse – ein weites Plateau mit Wiesen, Wegen und Gipfeln ringsum. Für mich zählt dieses Panorama zu den eindrucksvollsten der Dolomiten.
Die Alm ist gut erschlossen: Strassen, Wanderwege, ein Busnetz, aber kaum Autoverkehr – zum Glück. Ich kehre im Restaurant Rauchhütte ein. Der Name täuscht, es ist keine rustikale Hütte, sondern ein Haus mit gepflegter Terrasse und aufmerksamem Service. Nicht abgehoben, sondern angenehm schlicht, passend zur Seiser Alm.
Ein Morgen in St. Ulrich
Wie angekündigt kippt das Wetter. Der Morgen ist noch regenfrei, ideal, um St. Ulrich zu erkunden. Das Zentrum ist klein, sorgfältig unterhalten – und doch liegt die eigentliche Attraktivität des Ortes in seiner Funktion als Ausgangspunkt: Von hier führen Bahnen auf die Seiser Alm und hinauf zur Seceda.
Der Reiz liegt im Dazwischen
Diese Reise durch die Dolomiten hat mir gezeigt, wie vielseitig die Region ist. Schon die Anfahrt über Albulapass, Umbrail und Stilfserjoch war ein Erlebnis – rau, fordernd und von alpiner Kulisse geprägt. Orte wie der Pragser Wildsee oder der Lago di Misurina beeindrucken landschaftlich, verlieren aber durch den grossen Andrang einen Teil ihres Zaubers.
Umso kostbarer wirkten die stilleren Momente: der Blick von der Plätzwiese, der herzliche Empfang im Gasthof Panoramablick in Sexten, die einfache Küche auf der Klambachalm oder die Weite der Seiser Alm mit der Langkofelgruppe im Hintergrund. Entscheidend war dabei für mich das Unterwegssein mit dem E‑Bike. Es hat mir eine Nähe zur Landschaft ermöglicht, die im Auto oder auf Wanderungen so nicht entstanden wäre.
Zwischen touristischem Trubel und bodenständiger Gastfreundschaft habe ich beides erlebt – und gerade darin liegt der Reiz. Die Dolomiten lassen sich nicht in einer einzigen Reise erfassen. Sicher ist nur: Ich habe erst einen kleinen Teil gesehen – und es gibt Gründe genug, zurückzukehren.